18. September 2018

Big picture – Die Weltwirtschaft vor der Wende?

Die globalen Auswirkungen von neuen Zollschranken werden von den internationalen Agenturen ziemlich einheitlich auf 1% weniger BIP-Wachstum pro10%-Punkten durchschnittlich höhere Zölle geschätzt. Bislang sind die Zölle von rund 3% auf 6% gestiegen, so dass sich die Auswirkungen mit rechnerisch 0.3% niedrigerem globalen BIP-Wachstum noch nicht im Schmerzbereich befindet. Dessen ungeachtet muss festgehalten werden, dass das Eskalationspotential zumindest theoretisch deutlichhöher ist.

Handelsbilanzdefizite

«Ein Blick auf vergangene Handelsbilanzdefizite der USA offenbart sofort, dass das strukturelle Defizit eigentlich schon immer bestanden hat, nur dass die Namen der Schuldigen mit der Zeit gewechselt haben, von Japan zu China zu Europa.»

Ganze Bibliotheken erklären diesen Umstand vor allem mit der Tatsache, dass die USA mit dem US-Dollar als Leitwährung «natürlicher Weise» ein Handelsbilanzdefizit ausweisen muss, damit andere Länder im Gegenzug überhaupt US-$ Devisenreserven aufbauen können.

In dieser Hinsicht ist es nicht weiter erstaunlich, wenn der gesammelte ökonomische Sachverstand von rechts bis links davon überzeugt ist, dass der Tarifkonflikt vor allem den USA schaden wird. Bevor etwaige Arbeitsplätze entstehen können wird es zu Preiserhöhungen auf importierte Produkte kommen, die bei fehlenden Ausweich-möglichkeiten das Handelsbilanzdefizit tendenziell vertiefen und nicht wie gewünscht verkleinern werden. Ausserdem werden die Importzölle die inländische Preisdynamik beschleunigen, so dass die US-amerikanische Notenbank die Zinsen stärker und schneller anheben wird als ohne Zollerhöhungen.

 

«Mit anderen Worten, der gegenwärtige Kurs der USA wird stagflationäre Konsequenzen haben, die Konjunktur wird negativ tangiert während gleichzeitig die Preise steigen.»

 

Sowenig der Wind am Strand die Strömung im Meer verursacht, sowenig sollte man sich von den offensichtlichen Zollerhöhungen ablenken lassen. Viel bedeutender für die Meeresströmungen sind ziemlich verlässliche Temperaturunterschiede innerhalb der Ozeane. In diesem Sinne muss man leider feststellen, dass die gegenwärtige US-Administration durch die einseitige Kündigung zahlreicher internationaler Verträge gerade dabei ist, die langfristig wirksame Gewissheit vertraglicher Bindungen zu zerschlagen. Wenn nun der Austausch zwischen den Meeren künstlich erschwert wird, und die Temperaturen sehr stark schwanken, dann werden sich Spannungen aufbauen, die sich im Falle der Warenströme auch (macht)politisch missbrauchen lassen. Nicht umsonst spricht man von einem drohenden Handelskrieg. Das eigentlich gefährliche an der gegenwärtigen Lage ist die starke Verunsicherung hinsichtlich von Investitionen und Produktionsstandorten, die letztlich durch die einseitige Aufkündigung von langfristig gültigen internationalen Vereinbarungen durch die USA entstanden ist.

Zunächst war man davon ausgegangen, dass das ökonomische Eigeninteresse gross genug sei, ein Abgleiten in einen allseitigen Handelskonflikt zu verhindern. Inzwischen muss man jedoch befürchten, dass die ideologische Komponente in dieser Auseinandersetzung schon das nächste Gebiet der Konfrontation erkoren hat, den Devisenmarkt. Nicht von ungefähr spricht die US-Administration nun auch noch von einem Währungskrieg in dem sich die USA mit den Chinesen und den Europäern befände. Erstes Opfer könnte dabei weniger der Handel als vielmehr die Unabhängigkeit der Zentralbanken sein, zumindest hat das Weisse Haus schon einmal sein Missfallen über höhere Zinsen ausgedrückt.

Nimmt man die Auseinandersetzungen über die Handelsströme und die Währungsschwankungen zusammen, so droht dem globalen Welthandel der Rückfall in hegemonial kontrollierte Teilgebiete. Wohin diese Reise führen könnte kann man augenblicklich an den festgefahrenen Austrittsverhandlungen zwischen Grossbritannien und der EU beobachten.

«Strukturell bietet die gegenwärtige Situation, isolationistische Grundhaltung in den USA bei gleichzeitig substantiellen Zahlungsbilanzüberschüsse in China, dem Reich der Mitte eine einzigartige Möglichkeit, seine Handelsbilanzüberschüsse wieder als Auslandskredite zu rezyklieren, und über diesen Weg den Renmimbi als Devisenreserve in der Globalen Wirtschaft zu verankern. Dies dürfte den Interessen der USA langfristig mehr schaden als vorrübergehende Zölle auf Stahlimporte.»

Wechselkurse EUR/CHF und USD/CHF

Sieht man mal von den handelspolitischen Irritationen ab, geht es der globalen Konjunktur eigentlich recht gut. Die Expansion in den USA ist solide unterwegs. Der Chef der US-amerikanischen Notenbank Jerome Powell hat vor kurzem dem US-Senat gegenüber die konjunkturelle Situation in den USA als sehr robust bezeichnet und den bisherigen Kurs der graduellen Zinserhöhung bekräftigt. Europa ist ebenfalls dabei, sich weiter strukturell zu festigen. Insbesondere die viel geschmähte Peripherie hat nach den langen Jahren der Konsolidierung erstmals wieder deutlich Fahrt aufgenommen. Asien wächst trotz allem immer noch stärker als die westlichen Industrieländer. Selbst die meisten Schwellenländer sind solide unterwegs. Vor allem grössere Devisenbestände und eine geringe Auslandsverschuldung dürften die negativen Auswirkungen höherer US-Zinsen auch in diesem Sektor in Grenzen halten, mit Ausnahme der Türkei und Brasilien.

Während der Geldmarkt nach langem Zögern dieser Meinung nun endlich näher kommt, ist der Kapitalmarkt am langen Ende immer noch sehr skeptisch. Dabei verweisen alle klassische Indikatoren auf einen fortgesetzten Aufschwung. Mit rund 2.95 % preisen die 10-jährigen US-Staatsanleihen angesichts aktueller Inflationsraten von gut 2 % bzw. prognostizierten 3 % 2019 eher eine Rezession in den nächsten Jahren ein, als einen dauerhaften Aufschwung. Am augenfälligsten wird dies in der sehr flachen Zinskurve.

Interessant ist in diesem Zusammenhang die Rolle von Europa. Sicherlich, die EU gerät immer mehr unter Rechtfertigungsdruck hinsichtlich ihrer Handelsbilanzüberschüsse und die politischen Wirren in Italien bzw. Deutschland drücken ein wenig auf die Stimmung. Ausserdem gibt es noch immer keine Lösung für den Brexit. Dennoch hat sich selbst Mario Draghi, Präsident der Europäischen Zentralbank,  endlich dazu durchgerungen, das aktuelle Kauf-Programm der Staatsanleihen Ende des Jahres auslaufen zu lassen. Da er gleichzeitig die erste Zinserhöhung nicht vor der zweiten Hälfte 2019 in Aussicht gestellt hat, bleibt der geldpolitische Stimulus immer noch erhalten. Ausserdem dürfte die Fiskalpolitik in allen Ländern der EU expansiver werden, so dass die breit abgestützte Konjunkturbelebung in der EU auch wirtschaftspolitisch unterstützt wird. Damit deuten die strukturellen Makrodaten auf eine immer breiter werdende Belebung der europäischen Konjunktur hin.

«Und die Schweiz? Der Schweiz geht es blendend, allein die Schweizer Nationalbank ist noch immer davon überzeugt, dass 25 Bp höhere Schweizer Kurzfristzinsen einen Run auf den Schweizer Franken auslösen würde.»

 

 

 

Zinskurve in den USA

Was vor Jahren vielleicht gegolten haben mag ist inzwischen obsolet. Die grosse Finanzkrise ist überwunden und die sich neu abzeichnenden Auseinandersetzungen würden an der Schweiz «vorbei» gehen. Vielmehr sollten sich die Schweizer Institutionen mit der Frage auseinandersetzen, was sie im Falle einer immer protektionistischer werdenden Handelswelt tun würden, um die Stellung der Schweiz bzw. der Schweizer Produkte zu stärken. Als kleines, offenes Land ausserhalb der grossen Handelsblöcke könnte die Attraktivität der Schweiz sowohl als safe haven als auch als Produktionsstandort stark leiden. Und dann?


Hans-Peter Bauer, Verwaltungsratspräsident und CEO

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